Scham

Johanna Roth, Die Zeit:

Was Biden in der nur rund zehn Minuten dauernden Ansprache sagte, war beschämend substanzlos. „Wir müssen kleine Unternehmen unterstützen“, „wir müssen das Virus unter Kontrolle bekommen, um die Leute wieder in Arbeit zu bringen“, „wir werden sicherstellen, dass Arbeiter mit dem Respekt behandelt werden, den sie verdienen “ – alles richtig und wichtig, aber in der Summe nicht mehr als minimal aufgerüschte Bausteinsätze aus den Wochen vor der Wahl, die Eckdaten längst bekannt aus seinem „Build Back Better“-Plan. Wozu also diese Rede? So rar, wie Bidens Auftritte derzeit sind, fällt es umso stärker auf, wenn er nichts zu sagen hat. Das, womit er angetreten war und was das Land in diesem Moment am nötigsten hat, lässt er vermissen: „leadership“, was sich sowohl mit moralischer Autorität übersetzen lässt als auch mit Führungsstärke.

In seiner Ansprache freute er sich bloß, dass die Wirtschafts- und Gewerkschafts­vertreter, mit denen er und die künftige Vizepräsidentin Kamala Harris sich zuvor getroffen hatten, eine „nationale Strategie“ unterstützen würden. Dass er selbst bald Präsident sein wird, der bei einer solchen Strategie eine nicht ganz unwesentliche Rolle spielen dürfte, konnte man da fast vergessen.

Lame duck period heißen in den USA die Wochen zwischen November und Januar, in denen ein eigentlich schon abgewählter Präsident noch im Amt ist, sich aber kaum noch durchsetzen kann. Die lahme Ente scheint leider gerade anderswo zu sitzen.

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